Symbolische Darstellung eines Konflikts zwischen einem Vermieter, der einen großen Schlüssel hält, und einem Mieter, der sein Zuhause schützt. Dazwischen liegt ein Richterhammer.

Das Recht des Vermieters auf Wohnungsbesichtigung: Ein Urteil, das die Grenzen neu definiert

⚖️ Das Recht des Vermieters auf Wohnungsbesichtigung:
Als Immobilienmakler im Großraum Braunschweig wissen wir, dass der Verkauf einer vermieteten Wohnung besondere Herausforderungen mit sich bringt. Eine der häufigsten Fragen betrifft das Recht des Vermieters, die Wohnung potenziellen Käufern zu zeigen. Ein kürzlich ergangenes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 26. April 2023 - VIII ZR 420/21) wirft ein neues Licht auf dieses Thema und unterstreicht die Wichtigkeit der Abwägung zwischen den Interessen von Vermieter und Mieter.

Die Ausgangslage: Was ist das Zutrittsrecht des Vermieters?

Grundsätzlich hat ein Vermieter eine vertragliche Nebenpflicht, die ihm das Recht gibt, die vermietete Wohnung zu betreten, wenn ein konkreter sachlicher Grund vorliegt. Ein solcher Grund ist zum Beispiel die geplante Veräußerung der Wohnung. Dieses Recht kann auch in einer entsprechenden Klausel im Mietvertrag festgelegt sein.

Allerdings ist dieses Recht nicht unbegrenzt. Es muss immer eine umfassende Abwägung der Interessen beider Parteien stattfinden, insbesondere ihrer grundrechtlich geschützten Positionen. Auf der einen Seite steht das Eigentumsrecht des Vermieters (Art. 14 GG) , das ihm die Verwertung seiner Immobilie ermöglicht. Auf der anderen Seite stehen das Recht des Mieters auf die Ungestörtheit in seiner Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) und sein ebenfalls geschütztes Besitzrecht.

Der besondere Fall: Gesundheit über Eigentumsinteresse?

Der vorliegende Fall betraf eine Mieterin, die an einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung litt und sich in langjähriger psychiatrischer Behandlung befand. Die Kläger (Vermieter) wollten die Wohnung verkaufen und verlangten Zutritt, um sie mit Kaufinteressenten zu besichtigen.
Ein psychiatrisches Gutachten stellte fest, dass die Mieterin die Wohnung als ihren einzigen "Schutz"-Raum betrachtete und dass eine Besichtigung durch Dritte ein hohes Risiko für eine erhebliche Gesundheitsgefährdung bis hin zum Suizid mit sich bringen würde. Das Landgericht Nürnberg-Fürth entschied daher, dass das durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Grundrecht der Mieterin auf Leben und körperliche Unversehrtheit schwerer wiegt als das Interesse der Vermieter am Verkauf der Wohnung.

Das Landgericht wies die Klage der Vermieter auf Zutrittsgewährung ab, da es keine Maßnahmen sah, die das Suizidrisiko der Mieterin signifikant verringern könnten.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf und verwies den Fall zur Neuverhandlung zurück. Der BGH bestätigte zwar, dass die Gerichte bei drohender Lebensgefahr die Abwägung der Interessen besonders sorgfältig vornehmen müssen. Allerdings stellte er fest, dass das Landgericht einen Verfahrensfehler begangen hatte: Es hatte das psychiatrische Gutachten nicht vollständig gewürdigt. Der Sachverständige hatte nämlich auch ausgeführt, dass sich das Risiko für gesundheitliche Komplikationen verringern könnte, wenn sich die Mieterin bei der Besichtigung von einer Vertrauensperson oder einem Rechtsanwalt vertreten ließe. Das Landgericht hatte diese Möglichkeit nicht in seine Abwägung einbezogen, sondern sie lediglich für den Fall einer zukünftigen Besserung des Gesundheitszustands der Mieterin in Betracht gezogen. Der BGH kritisierte diesen Mangel und betonte, dass die Tatgerichte einen möglichen Widerspruch in den Aussagen eines Sachverständigen klären müssen, bevor sie eine Entscheidung treffen.

Fazit für die Praxis

Dieses Urteil verdeutlicht, dass das Zutrittsrecht des Vermieters kein absolutes Recht ist. Es muss stets im Einzelfall gegen die Rechte und das Wohlbefinden des Mieters abgewogen werden. Der BGH hat jedoch klargestellt, dass selbst bei schwerwiegenden gesundheitlichen Einschränkungen des Mieters alle möglichen Maßnahmen zur Risikominderung geprüft werden müssen.

Für uns als Immobilienmakler bedeutet dies, dass wir in solchen Fällen besonders sensibel und kreativ sein müssen. Eine vertrauensvolle Kommunikation mit allen Beteiligten, die Prüfung alternativer Besichtigungsmodelle (z.B. in Abwesenheit des Mieters oder in Begleitung einer Vertrauensperson) und die umfassende Dokumentation der Interessenabwägung sind unerlässlich, um einen rechtssicheren und ethisch korrekten Verkaufsprozess zu gewährleisten.